Die Photographie öffnet und schließt Blicke, sie wendet eine Wirklichkeit aus ihrem Raum, aus ihrer Zeit hinaus, in die Zeit unserer Schau, hier und jetzt. Darin liegt die wundervolle, die schwierige und immer dem Sterben näher als dem Leben verbundene Einmaligkeit der Photographie, dieser "menschenverachtendsten aller Erfindungen", wie Thomas Bernard einmal schrieb. Wenn sich das Lid des Augenblicks über ein Leben senkt – Théophile Gautier nannte im 19. Jh. die Blende der Photographie, diese unglaubliche Vorrichtung, in der Licht zu Zeit wird, ein "kupfernes Lid" – wenn dieses Lid also ein Leben verschattet, dann wird es ins Licht, als dem eigentlichen Schatten der Zeit getragen. Darin liegt eines der vielen Paradoxe der Photographie, darin liegt aber auch ihre poetische Kraft. Das poetische Faktum der Photographie rührt von ihrer ungeheuren "Verdichtung" des Augenblicks her.
Andreas Trabitzsch hat einen Teil seines hier gezeigten Werks der Aufzeichnung und Sammlung von Gegenwart gewidmet. Er nennt es das "verwinkelte Archiv", ein in spiegelhaften Schattenwürfen, in Verzerrungen und ungewöhnlich wie als Licht-Intarsien in den Raum eingelassenen geometrischen Figuren gezimmertes Archiv. Aber was denn ist ein verwinkeltes Archiv, wenn nicht mit der Annahme verbunden, dass dieses Archiv keiner gradlinigen, keiner unmittelbaren Lesbarkeit gehorcht, keine, die sich alphabetisch oder numerisch erfassen oder in der Aufsicht des Blicks erschließen würde, sondern ein Archiv, das eine Anschauung fordert, die gleichsam über den Widerhall, den Reflex der Objekte liefe.
Hier liegt vielleicht das für mich im hohen Maße Musikalische der Photographien von Andreas Trabitzsch. In seinen Bildern ist das Licht auf einer Reise wie der Ton, der nachträglich den Widerstand sucht, um als Echo uns zu Gehör zu kommen. Lichtreflexe, Spiegelungen, Durchsichten, Halb- und Schlagschatten, sie alle wirken so als versuchte der Künstler mit einer behutsamen Zärtlichkeit dem Menschen nicht zu nahe zu treten, und dennoch ihn ganz und gar darzustellen, und zwar indem er diesen Menschen in ein stummes Gespräch mit den Dingen des Lichts stellt. Da liegt auch die Verwandtschaft von Photographie und Gouache bei Trabitzsch, hier die Berührung durch das Licht, dort die monochrome Verstellung und Überlagerung von Gesten.
Wenn ich mir zwei Assoziationen erlauben darf, so führt die eine mich zu Raoul Hausmann, dem großen Dadaisten, für den Photographie eigentlich, so wollte er es, den Namen "Melanographie" tragen sollte, also dem "Schwarzen", der schwarzen Galle, der Melancholie direkt verbunden. Hausmann hatte stets unkonventionell gearbeitet, keinem Dogma der Kunst folgte er, weder eine revolutionäre Optik (à la Moholy-Nagy oder Rodtschenko) noch einer schönen Welt (á la Renger-Patzsch), sondern das Menschliche suchte er, wie es in Spuren an Orten verblieben ist. Eine zeitgenössische Künstlerin ist auch diesen Weg, den eigenen gegangen: Silke Grossmann in Hamburg. Eine Künstlerin, ein Künstler an die ich denke, nicht um einen Vergleich oder gar eine unterbrochene Tradition zu suchen, sondern um die Eigenart in den erzählerischen und doch wieder unterbrochenen Arbeiten von Andreas Trabitzsch zu suchen. Der alte Mann im verwinkelten Archiv ist überall, nur kaum selber zugegen, alle Bilder aber tragen ihn, jede Unschärfe, jedes heraufkommende oder hinabfallende Licht wird zu einer Note in der musikalischen Chromatik, mit der Andreas Trabitzsch diesen Raum orchestriert hat. Die Kunst aber – wie in der Fuge – besteht darin, in jedem Fragment, jedem Kontrapunkt das Leben dieses Mannes anklingen zu lassen, nicht Fragmente aneinanderzureihen, sondern sozusagen in jedem Winkel, den die Optik schafft, eine Stimme zu hinterlassen, deren Echo zu uns dringt, aber als Licht.
In einem großartigen Roman, "Der Tod des Vergil" von Hermann Broch fand ich diese Stelle, die besser als alles bisher Gesagte, die hier gezeigten Arbeiten von Andreas Trabitzsch beschreibt.
"(...) und von irgendwoher (…) kam taktmässig pendelnd der schwache Widerschein eines Lichtes in die Kammer geglitten, kam immer wieder, kam wie ein letztes Echo unendlichen Flutens, wie ein letztes Echo unendlicher Zeitabläufe, wie eines unendlich fernen Auges, so verloren, so gebrochen, so drohend vor Ferne, so ferneträchig, dass es gleichsam eine Aufforderung war, nach dem Bestand und Nichtbestand des eigenen Selbst zu fragen (…)"
Herzlichen Dank Andreas Trabitzsch für die Ausstellung